Ein Ausflug in die Subtropen

North Carolina. Der Laie denkt beim Wort “North“ an Berge und kühle Luft – weit gefehlt. Plötzlich lande ich in den Subtropen, bei 35 Grad und 70 % Luftfeuchtigkeit. Und verstehe, warum es überall Aircondition gibt.
Auch für die Emigranten muss das eine große Umstellung gewesen sein, aus Österreich in dieses Klima zu kommen. Doch ist es unglaublich grün, die Zikaden zirpen, die Frösche quaken, eine Idylle mitten im Wald bei Cindy und Stephen Rayburn, die so überhaupt keinem amerikanischen Klischee entsprechen. Sie ist Historikerin, Genealogin und Lehrerin, er Chemiker – old school. Gebildet, weitgereist, interessiert, offen, traditionsbewusst. Plötzlich wird mir die Bedeutung der amerikanischen Revolution klar – das ist der Punkt, der das Land selbstbewusst zusammenhält. Revolutionäre in der Familie zu haben, erfüllt Cindy mit Stolz – und sie erzählt mir von den Daughters of the American Revolution, eine Organisation, die ich nur aus „Gilmore Girls“ kenne… – so haben auch Serien ihren Sinn! Es ist eine große Ehre, diesen anzugehören, denn es bedeutet, dass man von mindestens einem Patrioten abstammt. Sehr viel Nationalstolz schwingt da mit, aber kein Nationalismus, das ist der große Unterschied. Und sehr viel weibliches Selbstbewusstsein, den die DRA besitzt in jeder großen amerikanischen Stadt einen Block.
Wir diskutieren über Politik, Veränderungen, Verantwortungsbewusstsein, Erziehung und Werte – und mir wird bewusst, dass ich solche Gespräche in Amerika eher nicht erwarte und daher doppelt dankbar bin, in einem so kultivierten Umfeld Gast sein zu dürfen.
Und ich erfahre vieles über Elissa, bevor ich ihr überhaupt begegne. Sie war Cindys und Stephens Tochter Stephanys Tanzlehrerin und Cindy meint, dass Stephany Elissas Leben wiederholt – was für ein interessanter Aspekt. 16 Tonbänder hat Elissa bereits mit ihren Erinnerungen gefüllt, alles ist transkribiert. Und doch berühren meine Fragen Themen und Menschen, die sie in dieser Form bis jetzt nicht erzählt hat. Sie sei ziemlich bossy, meint Cindy. Und sie weiß genau, was sie will und eben nicht. Sie legt Wert auf ordentliches Aussehen – ich hab das geahnt und viele Ketten, Blusen und Röcke mit. Eine Dame, die mir gefällt.

We met at the Met
Heute hab ich endlich Elissa getroffen. Meine Erwartungen werden nicht enttäuscht. Was für eine Dame! Im April hat sie sich den Oberschenkelhals gebrochen und ist daher momentan nicht in ihrem Appartement, sondern in der Pflegestation von Friends Home West Greensboro – eine Seniorenresidenz. Doch treffen wir einander in ihrem Appartement, umgeben von Photos und Erinnerungen. Und von ihrem Hochzeitskleid, das ihre Schwiegermutter 1949 aus goldenem Garn gestrickt hat. Ja, ihre Schwiegermutter. Das führt gleich zu ihrem Ehemann Peter Paul Fuchs, der seine Karriere an der Volksoper begonnen hat. Kaum 20 Jahre alt wird er als Korrepetitor und Chordirigent engagiert – und verdient sich erste Sporen.
Seine Flucht führt ihn nach Italien und die Schweizer Grenze – doch dort warten bereits Scharfmacher – und er hat unendliches Glück, über die Grenze zu gelangen. Am 21. Dezember 1938 trifft er von Southhampton kommend ohne seine frischgebackene Frau Anna Louise Granichstaedten ein, sie kommt erst 1941 in New York von Lissabon kommend an. Eine Frau, die er aus Wien kannte und in London wiedertraf. Gegen den Willen seiner Eltern heiratet er sie – und man kann sich den Grund dafür vorstellen: Allein und entwurzelt bietet dieses Mädchen ein gewisses Gefühl an Heimat. Doch à la longue reicht dies nicht für eine Ehe, die gemeinsamen Jahre sind unglücklich, obwohl zwei Buben hervorgehen. Das sentimentale Festhalten an der Vergangenheit ist doch zu wenig für eine Ehe auf Augenhöhe. Doch aus der Zeit heraus betrachtet ist diese Eheschließung verständlich – ein wenig Sicherheit in Zeiten der enormen Unsicherheit.
In New York ist die Met erste Anlaufstation und viele der geflüchteten Musiker finden hier einen Job, jedenfalls für den Anfang, als Sprungbrett – und daraus ergeben sich lebenslange Verbindungen. Kurt Herbert Adler, Walter Herbert, Walter Taussig, Laszlo Halasz, Fritz Striedry und eben auch Peter Paul Fuchs kennen einander von der Volksoper und treffen sich nun wieder an der Met, um von hier aus ihre unterschiedlichen, aber immer höchst erfolgreichen Karrieren zu starten.
Man ist versucht zu sagen, dass sie das Land kulturell kolonialisieren.

Sightseeing
Der zweite Tag startet mit einer animierten Diskussion beim Frühstück – ich habe es doch gewagt, die aktuelle politische Situation aufs Tapet zu bringen. Und tatsächlich: Cindy ist Republikanerin, was mir nach den vielen patriotischen Gesprächen klar war, Stephen jedoch ist Demokrat. Was für eine schwierige Situation, doch man kann auch etwas daraus lernen: Sie respektieren die unterschiedlichen Ansichten des anderen, diskutieren, aber streiten nicht. Erstaunlich.
Es folgt ein Anruf von Lore Taussigs Tochter Lynn, die mir sagt, dass ihre Mutter leider im Spital ist und mich deshalb nicht treffen kann, ich kann aber gerne Fragen schicken und selbstverständlich wird sie mir einige Photos ihres Vaters Walter Taussig mailen. Eine schlechte und gute Nachricht.
Dann bringt der Tag am Weg zu Elissa eine Tour durch Greensboro – was eine sehr überschaubare Sache ist. Doch wird einmal mehr deutlich, wie unglaublich stolz die Amerikaner auf alles „Historische“ sind und dass Schlachtfelder aus dem Civil War eine fast schon kultische Bedeutung haben – jedes noch so kleine Haus, Wiesen und Felder werden patriotisch umgemünzt. Das kann leicht zu viel werden.
Meine geliebte Tony Bryk-Neumann, die fast 90-jährig in Washington lebt und mit der ich telephoniere, sagt nur: Oh Gott, dort wählen ja alle Trump, das ist der ärgste Bundesstaat nach Alabama. Und sie hat sicher recht, eine solche Dichte an amerikanischen Flaggen ist am Weg durch sehr gepflegte Straßen auffallend.
Zurück bei Elissa entschuldigt sie sich, dass sie gestern so unstrukturiert erzählt hat – was natürlich kein Problem war. Doch heute erzählt sie stringent und konzentriert aus Peters Leben – unglaublich diese Präzision mit 99 Jahren. Und was für herrliche Geschichten erfahre ich! Am Ende meint sie: Morgen erzähle ich Dir von Aron Copland, a nice jewish boy.
Zurück bei Cindy und Stephen bekomme ich ein typisches North Carolina Barbecue und bin erstaunt: Keine Riesensteaks, sondern zerkleinertes herrliches Schweinefleisch, ein undefinierbarer Getreidebrei mit Gemüse, alles in einen Burger verpackt, mit Fisolen. Sehr eigenartig, aber gut.

Neue Entwicklungen
In der Früh läutet gleich zweimal das Telephon für mich. Zum einen Renata Propper, 89-jährig, die ich am 4. Juli treffen will. Zum anderen George Halasz, Laszlos Sohn – Laszlo war der Begründer der New York City Opera und hatte einen ganz schrecklichen Ruf. He was ruthless, meint Elissa. Er war entsetzlich unsympathisch, meint Sissy Strauss. Wie auch immer, er ruft mich an und erklärt, er sei zwar gerade in Asien, aber hätte alle Schachteln seines Vaters durchgeschaut, doch wäre das alles viel zu viel und er würde es gern der Met schenken – das Wort Donation hat eine große Bedeutung. Ich verspreche ihm, mit Peter Clark, dem Archivar der Met, darüber zu sprechen. Und er schickt mir natürlich Bilder und alles weitere, was ich brauchen kann. Ich würde diese Schachteln zu gern selber durchstöbern, aber wann? Das Material fliegt mir nur so zu.
Den Vormittag verbringen wir im Archiv der Universität – ein ganzes Wagerl voller Archivalien steht vor mir. Peter Paul Fuchs‘ Nachlass ist seit 2009 in Archiv – und ich bin die Erste, die Einsicht nimmt. Und was finde ich hier alles! Fast 200 Seiten Autobiographisches aus Wien und später Amerika, unglaubliche und prachtvolle Photos etc etc. Ich photographiere wie verrückt und bekomme die Kompositionen, die nie aufgeführt wurden, gemailt. Stücke für Cello solo – ich glaube, die werde ich spielen, wenn ich wieder in Wien bin.
Währenddessen erreicht mich ein Mail von Elissas Schwiegersohn Arturo, der mich in seine Broadwayshow einlädt – sie ist bis 2019 ausverkauft… Ich sage gern für Donnerstag zu. http://www.comefromaway.com Bin sehr gespannt, ein nicht ganz einfaches Thema.
Um auf den Boden der Realität zurückzukommen, mache ich einen Abstecher ins Friendly Center – und kaufe für die Kinder ein: Make up mit Assistenz freundlichster Verkäuferinnen und Jeans. Es hat ca. 37 Grad – und es ist kein großes Gebäude mit vielen Geschäften, sondern eine echte Mall – muss also in der Affenhitze outdoor von Geschäft zu Geschäft marschieren. Sehr amerikanisch. Oder doch nicht. Die würden mit dem Auto fahren…
Und dann das unfassbare Highlight des Tages: Ich habe Elissa gesagt, dass ich heut gern ein Video machen möchte. Kein Problem, meint sie, aber dafür muss sie sich herrichten. Also gehen wir in ihr Apartment, sie schminkt sich mit Profihand, dann fragt sie, was ich eigentlich hören will. Peters Beziehung zu Wien, sage ich. Und es folgt ein 12-minütiges unfassbares Interview. Stringent, von Wien nach New York und weiter nach Baton Rouge, das das Leben als Pianist, Dirigent, Lehrer und Komponist umfasst und ohne Anstrengung ich die richtige Richtung lenkt. Das möchte ich mit 99 auch noch können. Meine Arme zittern schon, aber ich halte das Handy wacker in die Höhe. Allein schon wegen dieser Minuten hat sich die ganze Reise ausgezahlt.

Hier könnt Ihr das Interview anschauen

Zurück zu Hause erwartet mich ein Mail von Donna Darden, der Witwe von George Medina, den wir vor zwei Jahren in New York besucht haben. Sie lädt mich zu Wein und Käse ein – genauso wie 2016. Das war ein legendärer Abend damals.
Was für eine unglaubliche Reise. Und sie ist noch lange nicht zu Ende.

Der letzte Tag in Greensboro. Und ein Einblick die Welt der Patrioten.
Auf dem Weg zu Elissa machen Cindy und ich einen Ausflug zu einem Museum, das nur so strotzt vor amerikanischem Nationalstolz. Und alles, was ich wiederum aus „Gilmore Girls“ über patriotische Museen weiß, wird plötzlich zur Wirklichkeit. Spieldokus zeigen Schlachten zwischen Engländern und Patrioten – und dieser krude Nationalstolz erscheint in einem so unglaublich naiven Licht. Da gibt es Uniformen und Artefakte, die in „großartigen archäologischen Grabungen“ gefunden wurden – rührend. Ein Pathos liegt über allem, das einem Europäer wirklich total fremd ist. Und die Stadt rüstet für den 4. Juli, alles voll Flaggen und Fahnen.
Zurück bei Elissa photographiere ich noch alle Dokumente aus Österreich inklusive Pass (ohne J) und diversen Arbeitsverträgen, leider keiner von der Volksoper. Der Abschied ist schwer – und ich plane, zu ihrem 100. Geburtstag im März wiederzukommen. Sie ist mir wirklich ans Herz gewachsen. Was für eine Dame, hier auch nur Madame Fuchs genannt. Zu Recht.
Auch Cindy ist in diesen wenigen Tagen eine großartige Kumpanin geworden, wir haben in so vielen Dingen dieselbe Sicht – die erste Trumpwählerin, die ich irgendwie verstehe. Denn sie hat nicht Trump, sondern die Republikaner gewählt. Es gibt also doch auch eine gebildete konservative Schicht und nicht nur hinterwäldlerische Farmer, vernachlässigte weiße Männer. Eine neue Erkenntnis, die einen aber auch ratlos zurücklässt. Denn dass Konservative in der Upper-middle-class zu finden sind, ist ja klar – doch die kommen in den Überlegungen, wer denn die Trump-Wähler sind, nie vor. Denn diese weltoffenere Schicht kann doch diese protektionistische Politik nicht mittragen. Die Sichten von außen und von innen spiegeln offenbar zwei Welten wieder.
Der Flughafen von Greensboro bietet einen Blick in die tiefste Provinz – und ich darf diesen Blick länger als geplant genießen, denn mein Flug ist drei Stunden verspätet – nicht weil hier so viel los ist, sondern weil der Flug aus Newark so verspätet ist. Und hier herrscht ein totales Chaos, Destinationen werden verwechselt, Fluggäste müssen das Flugzeug wieder verlassen, weil sie falsch geboardet wurden – herrlich. Eine plötzliche Eingebung sagt mir, dass ich vielleicht doch um ½ 6 ein Glaserl Wein trinken sollte – eine goldrichtige Entscheidung, denn um 6 schließt das einzige Restaurant…
Jetzt sitze ich also hier und beobachte das amerikanische Provinzpublikum – eine Erfahrung, die ich sonst nicht gemacht hätte…
Morgen melde ich mich aus New York – wird ein ruhiger Tag, denn alles steht still an einem federal holiday. Aber ich treffe Renata Propper, das freut mich sehr!

Abenteuer
Das hab ich jedenfalls geglaubt. Aber: Abenteuer passieren unerwartet. Mein Flug nach New York hat sich weiter verspätet, bis es mir zu bunt geworden ist – denn ich hatte keine Lust um 1 Uhr früh in Newark zu landen und dann allein durch Union City zu marschieren, um den Schlüssel für meine Wohnung zu organisieren. Also hab ich umgebucht auf morgen nachmittag. Und das hat unendlich viele Vorteile mit sich gebracht:
Ich kann ein 4th of July Picknick in North Carolina erleben.
Noch ein Forschungsabend mit Cindy.
Am wichtigsten: Mein Koffer war nach fünf Stunden am Flughanfen Greensboro völlig devastiert – Cindys Ausdruck war, als ob ein Gorilla darauf herumgetrampelt sei. Der Zipp war rundherum herausgerissen, der Koffer mit Klebeband notdürftig zusammengehalten. Er wäre niemals komplett in Newark angekommen. United hat mir sofort einen neuen Koffer gegeben, ehrlich gesagt viel besser als der alte, mit vier Rädern und Zwischenfächern. Es fehlt nix – also großes Glück!
Bin gespannt auf 4th of July im Kernland…!
Und ich werde nicht enttäuscht. Es beginnt damit, dass Cindy und ich in den patriotischen Farben angezogen sind: Blaue Bluse, roter Rock resp. Hose. Ich hab mich ganz schön rasch angepasst. Und hab zufällig die richtigen Anziehsachen mit… (Nach dem Öffnen des Klebebandes rund um den Koffer sind wir übrigens draufgekommen, dass alles schmutzig war – Cindy war rührend und hat meine komplette Wäsche gewaschen.)
Ihre Ururgroßmutter hat einen unfassbaren sogenannten Weird Quilt gemacht, die Details sind großartig und liebevoll gestaltet – was für eine Arbeit!
Und dann folgt wieder ein Ausflug in die Welt der Gilmore Girls (Ihr solltet das wirklich anschauen!) Die DAR (Daughters oft he American Revolution) ist Wirklichkeit. Auf mehreren Stoffstreifen prangen diverse Erinnerungsmedaillen – übrigens alle mit Magneten fixiert, was praktisch, aber auch sehr schwer ist. Das ist eine von Cindys Passionen – die vier querliegenden Wellen links unten symbolisieren „ihre“ Patriots. Mehr gibt es hier zu lesen.

Eine konservative feministische Bewegung – sehr selbstbewußt. Interessant. Und wieder ein Gedankenanstoß wie so viele in diesen wenigen Tagen.
Wir fahren in die Seniorenresidenz von Cindys Mutter. Das allein ist ein eigenes Kapitel. Und was für Elisabeth. Ein Riesenterrain mit independent living, assistent living, health care. Dazu Rehab, Fitnesscenter, Memory Center, diverse Bibliotheken, Bars, Veranstaltungen – unglaublich. Viele übersiedeln bei gutem Wind in das independent living – ein eigenes Haus mit Garage und Garten. Und dann nehmen sie peu à peu die Angebote in Anspruch. Können in die nächste Betreuungsstufe übersiedeln parttime oder ganz, um so nach den eigenen Voraussetzungen das Leben gestalten. Bedingung ist, dass man gehend einzieht. Ein interessanter Aspekt. Alle spielen Bridge, singen im Chor, spielen Instrumente – ein echtes Vorbild für uns. https://www.well-spring.org/
Aber zurück zu 4th of July. Alle sind in blauweißrot angezogen, unfassbar. Manche auch mit Uncle Sam Hüten – man glaubt, das gibt es nur im Film. Embleme überall, Flaggen und Begeisterung. Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich davon halten soll. So viel patriotischer Stolz ist uns wirklich total fremd. Und das Essen! Alle Klischees werden bedient. Picknick mit Hamburger und Hot Dog, Erdäpfelsalat und Fisolen, Applepie mit Eis und Jell-O Salad in den logischen Farben. Alles auf Plastiktellern. Dazu Wasser, Bier und Kaffee in Pappbechern, auf Papiertischtüchern serviert. Mein erster – sehr europäischer – Gedanke gilt den Massen an Müll. Aber das spielt hier nach wie vor keine Rolle. Nachhaltigkeit ist ein Fremdwort, auch in der hochpreisigen Seniorenresidenz.
Alle sind reizend zu mir – niemals verirrt sich jemand aus Europa hierher, ich bin eine echte Exotin!
Diesmal klappt mein Flug nach Newark, der Koffer bleibt auch unbeschädigt, Uber funktioniert, ich finde den Schlüssel und beziehe mein Apartment. Um die Ecke ist ein Liquor Shop geöffnet und hat auch kalten Rosés – ein Segen, denn es ist sehr heiß und die AC (habe gelernt, dass man das so für air condition sagt) braucht ein bißl, um runterzukühlen.
Morgen ist ein irrer Tag – ich versuche fünf Archive abzuklappern, um 5 zum Tee oder Wein zu erscheinen und um 7 am Broadway Arturos Show zu sehen – wird alles klappen – und weitere ungehobene Schätze hervorbringen.
Ich hab den irren Tag geschafft. Und die Anzahl der Archive auf drei reduziert. Am ergiebigsten war das Archiv der Met, das für Walter Taussig und Fritz Stiedry nicht nur alle Verträge, sondern auch Photos und Pressklippings aufbewahrt – eine großartige Quelle, die Einblick in viele Dimensionen gibt, vor allem auch in die Situation des unterschiedlichen Verdienstes und dessen Verbesserungsmöglichkeiten.
Das Archiv der Met ist spooky: Ein uralter buckliger Mann holt mich bei der Rezeption ab und führt mich hinunter in einen Raum voller Artefakte. Statuen, Photos – und unzählige Dokumente. Eine ältere Dame sitzt und sortiert Zeitungsartikel, eine jüngere Frau forscht für ein Buch über die 50er Jahre an der Met – wir drei trinken in der Kantine Tee, vorher darf ich noch aus dem Orchestergraben einen Blick in den Zuschauerraum werfen. Auf den Pulten liegen die Noten zu Richard Strauss‘ Ballett Schlagobers – so wienerisch!
Begonnen hat der Tag im Center for Jewish History. Und während ich auf die bestellten Materialien warte, schaue ich meine Listen durch. Bei Felix Galimir fällt mir plötzlich auf, dass er einen Neffen namens Richard Hurtig hat – jemandem mit einem so ausgefallenen Namen sollte man doch rasch finden. Dank sei dem Handy – ich finde ihn sofort und schreibe ein E-Mail. Acht Minuten später bekomme ich diese Antwort:
Dear Dr Arnbom,
I would be most happy to talk with you about both my uncle Felix and my mother Renee. They both left Vienna for Palestine before Anschluss. They were both hired by Bronislaw Huberman to be founding members of the Palestine Symphony Orchestra. I did a short little film about the Galimir Quartet that can be found on Youtube. And The Marlboro Music Festival recently created a page about Felix on their website.
I am in Marlboro Vermont for the summer, but will be away until next Tuesday. Let me know when it would be convenient to talk.
R
Richard Hurtig, Ph.D.
ASHA Fellow
Professor Emeritus
Director of the Assistive Devices Laboratory
Department of Communication Sciences & Disorders
The University of Iowa

Und hier der Link
Dazu gibt es gar nix zu sagen – Zufälle sind ausgeschlossen!
Nach der Met bin ich bei Donna Darden eingeladen, sie ist George Medinas Witwe, letztes Mal vor 1 ½ Jahren haben wir ihn noch getroffen. Während ich zu ihr fahre, fällt mir ein, dass sie aus North Carolina ist. Ich frage sie, wo sie Gesang studiert hat, und sie sagt: in Greensboro. Was für ein verrückter Zufall. Und natürlich sagt ihr der Name Peter Paul Fuchs was.
Ich verspreche ihr, bei der Sichtung von Georges Unterlagen und Lisl Weils Büchern zu helfen – wir werden wiederkommen, können bei ihr wohnen und alles durchschauen, um zu überlegen, welches Archiv geeignet wäre.
Dann geht es weiter auf den Broadway zu „Come from away“. Sehr interessant, musikalisch gut, großartig gemacht – eher ein Kammerspiel, keine aufwändigen Kulissen, reduziert auf das Wesentliche. Arturo Porazzi, Elissas Schwiegersohn und production manager, nimmt mich auch backstage mit, wir trinken noch ein Glas Wein und dann endet dieser so lange großartige Tag.

Der folgende Tag dient der Aufarbeitung, der Gedanken über all dies, was ich erleben durfte – eine große Dankbarkeit macht sich breit. Und die Gewissheit, dass ich unglaubliches Material zusammentragen durfte.

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Ein Ausflug in die Subtropen

North Carolina. Der Laie denkt beim Wort “North“ an Berge und kühle Luft – weit gefehlt. Plötzlich lande ich in den Subtropen, bei 35 Grad und 70 % Luftfeuchtigkeit. Und verstehe, warum es überall Aircondition gibt.
Auch für die Emigranten muss das eine große Umstellung gewesen sein, aus Österreich in dieses Klima zu kommen. Doch ist es unglaublich grün, die Zikaden zirpen, die Frösche quaken, eine Idylle mitten im Wald bei Cindy und Stephen Rayburn, die so überhaupt keinem amerikanischen Klischee entsprechen. Sie ist Historikerin, Genealogin und Lehrerin, er Chemiker – old school. Gebildet, weitgereist, interessiert, offen, traditionsbewusst. Plötzlich wird mir die Bedeutung der amerikanischen Revolution klar – das ist der Punkt, der das Land selbstbewusst zusammenhält. Revolutionäre in der Familie zu haben, erfüllt Cindy mit Stolz – und sie erzählt mir von den Daughters of the American Revolution, eine Organisation, die ich nur aus „Gilmore Girls“ kenne… – so haben auch Serien ihren Sinn! Es ist eine große Ehre, diesen anzugehören, denn es bedeutet, dass man von mindestens einem Patrioten abstammt. Sehr viel Nationalstolz schwingt da mit, aber kein Nationalismus, das ist der große Unterschied. Und sehr viel weibliches Selbstbewusstsein, den die DRA besitzt in jeder großen amerikanischen Stadt einen Block.
Wir diskutieren über Politik, Veränderungen, Verantwortungsbewusstsein, Erziehung und Werte – und mir wird bewusst, dass ich solche Gespräche in Amerika eher nicht erwarte und daher doppelt dankbar bin, in einem so kultivierten Umfeld Gast sein zu dürfen.
Und ich erfahre vieles über Elissa, bevor ich ihr überhaupt begegne. Sie war Cindys und Stephens Tochter Stephanys Tanzlehrerin und Cindy meint, dass Stephany Elissas Leben wiederholt – was für ein interessanter Aspekt. 16 Tonbänder hat Elissa bereits mit ihren Erinnerungen gefüllt, alles ist transkribiert. Und doch berühren meine Fragen Themen und Menschen, die sie in dieser Form bis jetzt nicht erzählt hat. Sie sei ziemlich bossy, meint Cindy. Und sie weiß genau, was sie will und eben nicht. Sie legt Wert auf ordentliches Aussehen – ich hab das geahnt und viele Ketten, Blusen und Röcke mit. Eine Dame, die mir gefällt.

We met at the Met
Heute hab ich endlich Elissa getroffen. Meine Erwartungen werden nicht enttäuscht. Was für eine Dame! Im April hat sie sich den Oberschenkelhals gebrochen und ist daher momentan nicht in ihrem Appartement, sondern in der Pflegestation von Friends Home West Greensboro – eine Seniorenresidenz. Doch treffen wir einander in ihrem Appartement, umgeben von Photos und Erinnerungen. Und von ihrem Hochzeitskleid, das ihre Schwiegermutter 1949 aus goldenem Garn gestrickt hat. Ja, ihre Schwiegermutter. Das führt gleich zu ihrem Ehemann Peter Paul Fuchs, der seine Karriere an der Volksoper begonnen hat. Kaum 20 Jahre alt wird er als Korrepetitor und Chordirigent engagiert – und verdient sich erste Sporen.
Seine Flucht führt ihn nach Italien und die Schweizer Grenze – doch dort warten bereits Scharfmacher – und er hat unendliches Glück, über die Grenze zu gelangen. Am 21. Dezember 1938 trifft er von Southhampton kommend ohne seine frischgebackene Frau Anna Louise Granichstaedten ein, sie kommt erst 1941 in New York von Lissabon kommend an. Eine Frau, die er aus Wien kannte und in London wiedertraf. Gegen den Willen seiner Eltern heiratet er sie – und man kann sich den Grund dafür vorstellen: Allein und entwurzelt bietet dieses Mädchen ein gewisses Gefühl an Heimat. Doch à la longue reicht dies nicht für eine Ehe, die gemeinsamen Jahre sind unglücklich, obwohl zwei Buben hervorgehen. Das sentimentale Festhalten an der Vergangenheit ist doch zu wenig für eine Ehe auf Augenhöhe. Doch aus der Zeit heraus betrachtet ist diese Eheschließung verständlich – ein wenig Sicherheit in Zeiten der enormen Unsicherheit.
In New York ist die Met erste Anlaufstation und viele der geflüchteten Musiker finden hier einen Job, jedenfalls für den Anfang, als Sprungbrett – und daraus ergeben sich lebenslange Verbindungen. Kurt Herbert Adler, Walter Herbert, Walter Taussig, Laszlo Halasz, Fritz Striedry und eben auch Peter Paul Fuchs kennen einander von der Volksoper und treffen sich nun wieder an der Met, um von hier aus ihre unterschiedlichen, aber immer höchst erfolgreichen Karrieren zu starten.
Man ist versucht zu sagen, dass sie das Land kulturell kolonialisieren.

Sightseeing
Der zweite Tag startet mit einer animierten Diskussion beim Frühstück – ich habe es doch gewagt, die aktuelle politische Situation aufs Tapet zu bringen. Und tatsächlich: Cindy ist Republikanerin, was mir nach den vielen patriotischen Gesprächen klar war, Stephen jedoch ist Demokrat. Was für eine schwierige Situation, doch man kann auch etwas daraus lernen: Sie respektieren die unterschiedlichen Ansichten des anderen, diskutieren, aber streiten nicht. Erstaunlich.
Es folgt ein Anruf von Lore Taussigs Tochter Lynn, die mir sagt, dass ihre Mutter leider im Spital ist und mich deshalb nicht treffen kann, ich kann aber gerne Fragen schicken und selbstverständlich wird sie mir einige Photos ihres Vaters Walter Taussig mailen. Eine schlechte und gute Nachricht.
Dann bringt der Tag am Weg zu Elissa eine Tour durch Greensboro – was eine sehr überschaubare Sache ist. Doch wird einmal mehr deutlich, wie unglaublich stolz die Amerikaner auf alles „Historische“ sind und dass Schlachtfelder aus dem Civil War eine fast schon kultische Bedeutung haben – jedes noch so kleine Haus, Wiesen und Felder werden patriotisch umgemünzt. Das kann leicht zu viel werden.
Meine geliebte Tony Bryk-Neumann, die fast 90-jährig in Washington lebt und mit der ich telephoniere, sagt nur: Oh Gott, dort wählen ja alle Trump, das ist der ärgste Bundesstaat nach Alabama. Und sie hat sicher recht, eine solche Dichte an amerikanischen Flaggen ist am Weg durch sehr gepflegte Straßen auffallend.
Zurück bei Elissa entschuldigt sie sich, dass sie gestern so unstrukturiert erzählt hat – was natürlich kein Problem war. Doch heute erzählt sie stringent und konzentriert aus Peters Leben – unglaublich diese Präzision mit 99 Jahren. Und was für herrliche Geschichten erfahre ich! Am Ende meint sie: Morgen erzähle ich Dir von Aron Copland, a nice jewish boy.
Zurück bei Cindy und Stephen bekomme ich ein typisches North Carolina Barbecue und bin erstaunt: Keine Riesensteaks, sondern zerkleinertes herrliches Schweinefleisch, ein undefinierbarer Getreidebrei mit Gemüse, alles in einen Burger verpackt, mit Fisolen. Sehr eigenartig, aber gut.

Neue Entwicklungen
In der Früh läutet gleich zweimal das Telephon für mich. Zum einen Renata Propper, 89-jährig, die ich am 4. Juli treffen will. Zum anderen George Halasz, Laszlos Sohn – Laszlo war der Begründer der New York City Opera und hatte einen ganz schrecklichen Ruf. He was ruthless, meint Elissa. Er war entsetzlich unsympathisch, meint Sissy Strauss. Wie auch immer, er ruft mich an und erklärt, er sei zwar gerade in Asien, aber hätte alle Schachteln seines Vaters durchgeschaut, doch wäre das alles viel zu viel und er würde es gern der Met schenken – das Wort Donation hat eine große Bedeutung. Ich verspreche ihm, mit Peter Clark, dem Archivar der Met, darüber zu sprechen. Und er schickt mir natürlich Bilder und alles weitere, was ich brauchen kann. Ich würde diese Schachteln zu gern selber durchstöbern, aber wann? Das Material fliegt mir nur so zu.
Den Vormittag verbringen wir im Archiv der Universität – ein ganzes Wagerl voller Archivalien steht vor mir. Peter Paul Fuchs‘ Nachlass ist seit 2009 in Archiv – und ich bin die Erste, die Einsicht nimmt. Und was finde ich hier alles! Fast 200 Seiten Autobiographisches aus Wien und später Amerika, unglaubliche und prachtvolle Photos etc etc. Ich photographiere wie verrückt und bekomme die Kompositionen, die nie aufgeführt wurden, gemailt. Stücke für Cello solo – ich glaube, die werde ich spielen, wenn ich wieder in Wien bin.
Währenddessen erreicht mich ein Mail von Elissas Schwiegersohn Arturo, der mich in seine Broadwayshow einlädt – sie ist bis 2019 ausverkauft… Ich sage gern für Donnerstag zu. http://www.comefromaway.com Bin sehr gespannt, ein nicht ganz einfaches Thema.
Um auf den Boden der Realität zurückzukommen, mache ich einen Abstecher ins Friendly Center – und kaufe für die Kinder ein: Make up mit Assistenz freundlichster Verkäuferinnen und Jeans. Es hat ca. 37 Grad – und es ist kein großes Gebäude mit vielen Geschäften, sondern eine echte Mall – muss also in der Affenhitze outdoor von Geschäft zu Geschäft marschieren. Sehr amerikanisch. Oder doch nicht. Die würden mit dem Auto fahren…
Und dann das unfassbare Highlight des Tages: Ich habe Elissa gesagt, dass ich heut gern ein Video machen möchte. Kein Problem, meint sie, aber dafür muss sie sich herrichten. Also gehen wir in ihr Apartment, sie schminkt sich mit Profihand, dann fragt sie, was ich eigentlich hören will. Peters Beziehung zu Wien, sage ich. Und es folgt ein 12-minütiges unfassbares Interview. Stringent, von Wien nach New York und weiter nach Baton Rouge, das das Leben als Pianist, Dirigent, Lehrer und Komponist umfasst und ohne Anstrengung ich die richtige Richtung lenkt. Das möchte ich mit 99 auch noch können. Meine Arme zittern schon, aber ich halte das Handy wacker in die Höhe. Allein schon wegen dieser Minuten hat sich die ganze Reise ausgezahlt.

Hier könnt Ihr das Interview anschauen

Zurück zu Hause erwartet mich ein Mail von Donna Darden, der Witwe von George Medina, den wir vor zwei Jahren in New York besucht haben. Sie lädt mich zu Wein und Käse ein – genauso wie 2016. Das war ein legendärer Abend damals.
Was für eine unglaubliche Reise. Und sie ist noch lange nicht zu Ende.

Der letzte Tag in Greensboro. Und ein Einblick die Welt der Patrioten.
Auf dem Weg zu Elissa machen Cindy und ich einen Ausflug zu einem Museum, das nur so strotzt vor amerikanischem Nationalstolz. Und alles, was ich wiederum aus „Gilmore Girls“ über patriotische Museen weiß, wird plötzlich zur Wirklichkeit. Spieldokus zeigen Schlachten zwischen Engländern und Patrioten – und dieser krude Nationalstolz erscheint in einem so unglaublich naiven Licht. Da gibt es Uniformen und Artefakte, die in „großartigen archäologischen Grabungen“ gefunden wurden – rührend. Ein Pathos liegt über allem, das einem Europäer wirklich total fremd ist. Und die Stadt rüstet für den 4. Juli, alles voll Flaggen und Fahnen.
Zurück bei Elissa photographiere ich noch alle Dokumente aus Österreich inklusive Pass (ohne J) und diversen Arbeitsverträgen, leider keiner von der Volksoper. Der Abschied ist schwer – und ich plane, zu ihrem 100. Geburtstag im März wiederzukommen. Sie ist mir wirklich ans Herz gewachsen. Was für eine Dame, hier auch nur Madame Fuchs genannt. Zu Recht.
Auch Cindy ist in diesen wenigen Tagen eine großartige Kumpanin geworden, wir haben in so vielen Dingen dieselbe Sicht – die erste Trumpwählerin, die ich irgendwie verstehe. Denn sie hat nicht Trump, sondern die Republikaner gewählt. Es gibt also doch auch eine gebildete konservative Schicht und nicht nur hinterwäldlerische Farmer, vernachlässigte weiße Männer. Eine neue Erkenntnis, die einen aber auch ratlos zurücklässt. Denn dass Konservative in der Upper-middle-class zu finden sind, ist ja klar – doch die kommen in den Überlegungen, wer denn die Trump-Wähler sind, nie vor. Denn diese weltoffenere Schicht kann doch diese protektionistische Politik nicht mittragen. Die Sichten von außen und von innen spiegeln offenbar zwei Welten wieder.
Der Flughafen von Greensboro bietet einen Blick in die tiefste Provinz – und ich darf diesen Blick länger als geplant genießen, denn mein Flug ist drei Stunden verspätet – nicht weil hier so viel los ist, sondern weil der Flug aus Newark so verspätet ist. Und hier herrscht ein totales Chaos, Destinationen werden verwechselt, Fluggäste müssen das Flugzeug wieder verlassen, weil sie falsch geboardet wurden – herrlich. Eine plötzliche Eingebung sagt mir, dass ich vielleicht doch um ½ 6 ein Glaserl Wein trinken sollte – eine goldrichtige Entscheidung, denn um 6 schließt das einzige Restaurant…
Jetzt sitze ich also hier und beobachte das amerikanische Provinzpublikum – eine Erfahrung, die ich sonst nicht gemacht hätte…
Morgen melde ich mich aus New York – wird ein ruhiger Tag, denn alles steht still an einem federal holiday. Aber ich treffe Renata Propper, das freut mich sehr!

Abenteuer
Das hab ich jedenfalls geglaubt. Aber: Abenteuer passieren unerwartet. Mein Flug nach New York hat sich weiter verspätet, bis es mir zu bunt geworden ist – denn ich hatte keine Lust um 1 Uhr früh in Newark zu landen und dann allein durch Union City zu marschieren, um den Schlüssel für meine Wohnung zu organisieren. Also hab ich umgebucht auf morgen nachmittag. Und das hat unendlich viele Vorteile mit sich gebracht:
Ich kann ein 4th of July Picknick in North Carolina erleben.
Noch ein Forschungsabend mit Cindy.
Am wichtigsten: Mein Koffer war nach fünf Stunden am Flughanfen Greensboro völlig devastiert – Cindys Ausdruck war, als ob ein Gorilla darauf herumgetrampelt sei. Der Zipp war rundherum herausgerissen, der Koffer mit Klebeband notdürftig zusammengehalten. Er wäre niemals komplett in Newark angekommen. United hat mir sofort einen neuen Koffer gegeben, ehrlich gesagt viel besser als der alte, mit vier Rädern und Zwischenfächern. Es fehlt nix – also großes Glück!
Bin gespannt auf 4th of July im Kernland…!
Und ich werde nicht enttäuscht. Es beginnt damit, dass Cindy und ich in den patriotischen Farben angezogen sind: Blaue Bluse, roter Rock resp. Hose. Ich hab mich ganz schön rasch angepasst. Und hab zufällig die richtigen Anziehsachen mit… (Nach dem Öffnen des Klebebandes rund um den Koffer sind wir übrigens draufgekommen, dass alles schmutzig war – Cindy war rührend und hat meine komplette Wäsche gewaschen.)
Ihre Ururgroßmutter hat einen unfassbaren sogenannten Weird Quilt gemacht, die Details sind großartig und liebevoll gestaltet – was für eine Arbeit!
Und dann folgt wieder ein Ausflug in die Welt der Gilmore Girls (Ihr solltet das wirklich anschauen!) Die DAR (Daughters oft he American Revolution) ist Wirklichkeit. Auf mehreren Stoffstreifen prangen diverse Erinnerungsmedaillen – übrigens alle mit Magneten fixiert, was praktisch, aber auch sehr schwer ist. Das ist eine von Cindys Passionen – die vier querliegenden Wellen links unten symbolisieren „ihre“ Patriots. Mehr gibt es hier zu lesen.

Eine konservative feministische Bewegung – sehr selbstbewußt. Interessant. Und wieder ein Gedankenanstoß wie so viele in diesen wenigen Tagen.
Wir fahren in die Seniorenresidenz von Cindys Mutter. Das allein ist ein eigenes Kapitel. Und was für Elisabeth. Ein Riesenterrain mit independent living, assistent living, health care. Dazu Rehab, Fitnesscenter, Memory Center, diverse Bibliotheken, Bars, Veranstaltungen – unglaublich. Viele übersiedeln bei gutem Wind in das independent living – ein eigenes Haus mit Garage und Garten. Und dann nehmen sie peu à peu die Angebote in Anspruch. Können in die nächste Betreuungsstufe übersiedeln parttime oder ganz, um so nach den eigenen Voraussetzungen das Leben gestalten. Bedingung ist, dass man gehend einzieht. Ein interessanter Aspekt. Alle spielen Bridge, singen im Chor, spielen Instrumente – ein echtes Vorbild für uns. https://www.well-spring.org/
Aber zurück zu 4th of July. Alle sind in blauweißrot angezogen, unfassbar. Manche auch mit Uncle Sam Hüten – man glaubt, das gibt es nur im Film. Embleme überall, Flaggen und Begeisterung. Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich davon halten soll. So viel patriotischer Stolz ist uns wirklich total fremd. Und das Essen! Alle Klischees werden bedient. Picknick mit Hamburger und Hot Dog, Erdäpfelsalat und Fisolen, Applepie mit Eis und Jell-O Salad in den logischen Farben. Alles auf Plastiktellern. Dazu Wasser, Bier und Kaffee in Pappbechern, auf Papiertischtüchern serviert. Mein erster – sehr europäischer – Gedanke gilt den Massen an Müll. Aber das spielt hier nach wie vor keine Rolle. Nachhaltigkeit ist ein Fremdwort, auch in der hochpreisigen Seniorenresidenz.
Alle sind reizend zu mir – niemals verirrt sich jemand aus Europa hierher, ich bin eine echte Exotin!
Diesmal klappt mein Flug nach Newark, der Koffer bleibt auch unbeschädigt, Uber funktioniert, ich finde den Schlüssel und beziehe mein Apartment. Um die Ecke ist ein Liquor Shop geöffnet und hat auch kalten Rosés – ein Segen, denn es ist sehr heiß und die AC (habe gelernt, dass man das so für air condition sagt) braucht ein bißl, um runterzukühlen.
Morgen ist ein irrer Tag – ich versuche fünf Archive abzuklappern, um 5 zum Tee oder Wein zu erscheinen und um 7 am Broadway Arturos Show zu sehen – wird alles klappen – und weitere ungehobene Schätze hervorbringen.
Ich hab den irren Tag geschafft. Und die Anzahl der Archive auf drei reduziert. Am ergiebigsten war das Archiv der Met, das für Walter Taussig und Fritz Stiedry nicht nur alle Verträge, sondern auch Photos und Pressklippings aufbewahrt – eine großartige Quelle, die Einblick in viele Dimensionen gibt, vor allem auch in die Situation des unterschiedlichen Verdienstes und dessen Verbesserungsmöglichkeiten.
Das Archiv der Met ist spooky: Ein uralter buckliger Mann holt mich bei der Rezeption ab und führt mich hinunter in einen Raum voller Artefakte. Statuen, Photos – und unzählige Dokumente. Eine ältere Dame sitzt und sortiert Zeitungsartikel, eine jüngere Frau forscht für ein Buch über die 50er Jahre an der Met – wir drei trinken in der Kantine Tee, vorher darf ich noch aus dem Orchestergraben einen Blick in den Zuschauerraum werfen. Auf den Pulten liegen die Noten zu Richard Strauss‘ Ballett Schlagobers – so wienerisch!
Begonnen hat der Tag im Center for Jewish History. Und während ich auf die bestellten Materialien warte, schaue ich meine Listen durch. Bei Felix Galimir fällt mir plötzlich auf, dass er einen Neffen namens Richard Hurtig hat – jemandem mit einem so ausgefallenen Namen sollte man doch rasch finden. Dank sei dem Handy – ich finde ihn sofort und schreibe ein E-Mail. Acht Minuten später bekomme ich diese Antwort:
Dear Dr Arnbom,
I would be most happy to talk with you about both my uncle Felix and my mother Renee. They both left Vienna for Palestine before Anschluss. They were both hired by Bronislaw Huberman to be founding members of the Palestine Symphony Orchestra. I did a short little film about the Galimir Quartet that can be found on Youtube. And The Marlboro Music Festival recently created a page about Felix on their website.
I am in Marlboro Vermont for the summer, but will be away until next Tuesday. Let me know when it would be convenient to talk.
R
Richard Hurtig, Ph.D.
ASHA Fellow
Professor Emeritus
Director of the Assistive Devices Laboratory
Department of Communication Sciences & Disorders
The University of Iowa

Und hier der Link
Dazu gibt es gar nix zu sagen – Zufälle sind ausgeschlossen!
Nach der Met bin ich bei Donna Darden eingeladen, sie ist George Medinas Witwe, letztes Mal vor 1 ½ Jahren haben wir ihn noch getroffen. Während ich zu ihr fahre, fällt mir ein, dass sie aus North Carolina ist. Ich frage sie, wo sie Gesang studiert hat, und sie sagt: in Greensboro. Was für ein verrückter Zufall. Und natürlich sagt ihr der Name Peter Paul Fuchs was.
Ich verspreche ihr, bei der Sichtung von Georges Unterlagen und Lisl Weils Büchern zu helfen – wir werden wiederkommen, können bei ihr wohnen und alles durchschauen, um zu überlegen, welches Archiv geeignet wäre.
Dann geht es weiter auf den Broadway zu „Come from away“. Sehr interessant, musikalisch gut, großartig gemacht – eher ein Kammerspiel, keine aufwändigen Kulissen, reduziert auf das Wesentliche. Arturo Porazzi, Elissas Schwiegersohn und production manager, nimmt mich auch backstage mit, wir trinken noch ein Glas Wein und dann endet dieser so lange großartige Tag.

Der folgende Tag dient der Aufarbeitung, der Gedanken über all dies, was ich erleben durfte – eine große Dankbarkeit macht sich breit. Und die Gewissheit, dass ich unglaubliches Material zusammentragen durfte.

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