Tanz auf dem Vulkan.
Mir ist die Ehre widerfahren, für das Programmheft der Volksoper für Cabaret eine kleine Tour d’Horizon durch die Berliner Roaring Twenties zu unternehmen. Mit Musik, vielen Photos und auch dem Inhalt des Stückes, basierend auf Christopher Isherwoods Erzählung Leb wohl, Berlin habe ich mich einmal mehr auf ein Thema eingestimmt, das mir nicht nur sehr vertraut ist, sondern das ich spüre und nachvollziehen kann. Warum das so ist, bleibt unklar – und doch: Es ist eben so.
Ich habe verschiedene Bereiche, die auch in Cabaret Bedeutung haben, versucht nachzuzeichnen. Nicht nur die sehr bunte, sehr enthemmte und promiskuitive Gesellschaft, die permanent am Rande des Vulkans tanzt, steht im Mittelpunkt. Auch die alltäglichen Schwierigkeiten der Berliner, die Vermietung einzelner Räume in einst herrschaftlichen Wohnungen, der Verlust der bürgerlichen Existenz fehlen nicht.
So entstehen während des Schreibens Bilder, untermalt von Musik. Und heute war Premiere: Die der Phantasie und dem Wissen um die Bilder der 1920er Jahre entsprungenen Vorstellungen entstehen plötzlich auf der Bühne. Das berühmte Foto von Wilhelm Bendow im Doppelkostüm – eine Seite im Frack, die andere im weißen Abendkleid – wird zitiert. Auch die Hommage an die Girl-Reihen entführt nach Berlin.
Tanz auf dem Klavier
Der vielzitierte „Tanz auf dem Vulkan“ wird deutlich – auch wenn er ein Tanz auf einen Riesenklavier ist. Das Kabarett gewinnt – noch – in der Inszenierung von Gil Mehmert, der gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Heike Meixner und den Kostümen von Falk Bauer die hemmungslose Welt des Berliner Kabaretts auf die Bühne bringt. Und auch buchstäblich ihre Kehrseite zeigt. Denn die Drehbühne wechselt zwischen der Scheinwelt der Unterhaltung und der spießigen Realität des Alltags. Kleine Pensionszimmer beherbergen gestrandete Existenzen: Da den Schriftsteller Clifford Bradshaw, der eine Inspiration für seinen neuen Roman sucht – überzeugend in seiner Hilflosigkeit und auch Überforderung dargestellt von Jörn-Felix Alt. Oder die Prostituierte Fräulein Kost, die sich als Unterstützerin der Nationalsozialisten herauskristallisiert. Johanna Arrouas‘ Interpretation eines deutschen Liedes lässt erschauern. Und da ist die Gastgeberin Fräulein Schneider, die sich mühsam durchs Leben bringt und Zimmer vermietet. Dagmar Hellberg verleiht ihr Stärke und Schwäche zugleich – was für eine berührende Persönlichkeit, die von Herrn Schultz, einem weiteren Mieter verehrt wird. Rührend hilflos, fast schon tolpatschig bemüht sich Robert Meyer um das alternde Fräulein – eine Zuneigung der späten Jahre, der jedoch keine Zukunft gegönnt ist. Denn Herr Schultz ist Jude, Fräulein Schneider schreckt im Jahr 1933 vor dieser Verbindung zurück. Genauso erlebte der Autor Christopher Isherwood diese Zeit des Umsturzes in Berlin. Er schreibt über seine Vermieterin: „Heute früh hörte ich sie sogar bei der Portiersfrau ehrerbietig vom ‚Führer‘ sprechen. Wollte man sie daran erinnern, daß sie bei den Wahlen letzten November kommunistisch gewählt hat, so würde sie das wahrscheinlich ganz entschieden und durchaus gutgläubig abstreiten. Sie akklimatisiert sich eben und folgt damit einem Naturgesetz – wie ein Tier, das für den Winter sein Fell wechselt.“
Der Riss durch die Gesellschaft
Peter Lesiak gibt den selbstbewußt auftretenden Nazi Ernst Ludwig – und dies ist eine der großen Stärken der Inszenierung: Die politischen Ereignisse durchziehen das Stück im richtigen Maß, am Ende des ersten Teils wird im Kabarett eine Hakenkreuzfahne entrollt – und als Publikum ist man sich nicht ganz sicher, ob man jetzt überhaupt applaudieren soll.
Der Star und der Conferencier
Zwei Personen dominieren das Musical: Zum einen Sally Bowles, das Revuegirl, das bürgerliche Sicherheit sucht und ein Kind von Clifford Bradshaw erwartet. Bettina Mönch verkörpert Sally in großartiger Art und Weise. Stimmlich gestaltet sie die Hauptsongs hervorragend und überzeugt auch darstellerisch vollkommen. Eine verletzliche Person, die sich hinter dem Showbusiness versteckt, versucht, mit Hilfe von Drogen den Ansprüchen gerecht zu werden und am Ende an einer Abtreibung zerbricht.
Doch der eigentliche Star des Abends ist der Conferencier: Eine glatzköpfige kleine zarte Person mit schwarz geschminkten Augen, die wie kein anderer den Tanz auf dem Vulkan personifiziert. In einer Szene versteckt sie das Gesicht und zeigt sich plötzlich mit Totenkopf. Mit überdimensionalen Händen dirigiert sie die grotesken Gestalten auf der Bühne und spielt auf dem überdimensionalen Klavier mit unglaublicher Musikalität die Melodien mit. Ruth Brauer-Kvam ist diese Zauberin, die die Fäden in den großen Händen behält und mit unfassbarer Kraft und Energie das Geschehen bestimmt.
Das Orchester spielt ihr buchstäblich in die Hände: Lorenz Aichner lässt die Atmosphäre der Roaring Twenties lebendig werden, eine großartige Leistung dieses Orchesters, das hörbar großen Gefallen an dieser musikalischen Herausforderung hat.
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Tanz auf dem Vulkan.
Mir ist die Ehre widerfahren, für das Programmheft der Volksoper für Cabaret eine kleine Tour d’Horizon durch die Berliner Roaring Twenties zu unternehmen. Mit Musik, vielen Photos und auch dem Inhalt des Stückes, basierend auf Christopher Isherwoods Erzählung Leb wohl, Berlin habe ich mich einmal mehr auf ein Thema eingestimmt, das mir nicht nur sehr vertraut ist, sondern das ich spüre und nachvollziehen kann. Warum das so ist, bleibt unklar – und doch: Es ist eben so.
Ich habe verschiedene Bereiche, die auch in Cabaret Bedeutung haben, versucht nachzuzeichnen. Nicht nur die sehr bunte, sehr enthemmte und promiskuitive Gesellschaft, die permanent am Rande des Vulkans tanzt, steht im Mittelpunkt. Auch die alltäglichen Schwierigkeiten der Berliner, die Vermietung einzelner Räume in einst herrschaftlichen Wohnungen, der Verlust der bürgerlichen Existenz fehlen nicht.
So entstehen während des Schreibens Bilder, untermalt von Musik. Und heute war Premiere: Die der Phantasie und dem Wissen um die Bilder der 1920er Jahre entsprungenen Vorstellungen entstehen plötzlich auf der Bühne. Das berühmte Foto von Wilhelm Bendow im Doppelkostüm – eine Seite im Frack, die andere im weißen Abendkleid – wird zitiert. Auch die Hommage an die Girl-Reihen entführt nach Berlin.
Tanz auf dem Klavier
Der vielzitierte „Tanz auf dem Vulkan“ wird deutlich – auch wenn er ein Tanz auf einen Riesenklavier ist. Das Kabarett gewinnt – noch – in der Inszenierung von Gil Mehmert, der gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Heike Meixner und den Kostümen von Falk Bauer die hemmungslose Welt des Berliner Kabaretts auf die Bühne bringt. Und auch buchstäblich ihre Kehrseite zeigt. Denn die Drehbühne wechselt zwischen der Scheinwelt der Unterhaltung und der spießigen Realität des Alltags. Kleine Pensionszimmer beherbergen gestrandete Existenzen: Da den Schriftsteller Clifford Bradshaw, der eine Inspiration für seinen neuen Roman sucht – überzeugend in seiner Hilflosigkeit und auch Überforderung dargestellt von Jörn-Felix Alt. Oder die Prostituierte Fräulein Kost, die sich als Unterstützerin der Nationalsozialisten herauskristallisiert. Johanna Arrouas‘ Interpretation eines deutschen Liedes lässt erschauern. Und da ist die Gastgeberin Fräulein Schneider, die sich mühsam durchs Leben bringt und Zimmer vermietet. Dagmar Hellberg verleiht ihr Stärke und Schwäche zugleich – was für eine berührende Persönlichkeit, die von Herrn Schultz, einem weiteren Mieter verehrt wird. Rührend hilflos, fast schon tolpatschig bemüht sich Robert Meyer um das alternde Fräulein – eine Zuneigung der späten Jahre, der jedoch keine Zukunft gegönnt ist. Denn Herr Schultz ist Jude, Fräulein Schneider schreckt im Jahr 1933 vor dieser Verbindung zurück. Genauso erlebte der Autor Christopher Isherwood diese Zeit des Umsturzes in Berlin. Er schreibt über seine Vermieterin: „Heute früh hörte ich sie sogar bei der Portiersfrau ehrerbietig vom ‚Führer‘ sprechen. Wollte man sie daran erinnern, daß sie bei den Wahlen letzten November kommunistisch gewählt hat, so würde sie das wahrscheinlich ganz entschieden und durchaus gutgläubig abstreiten. Sie akklimatisiert sich eben und folgt damit einem Naturgesetz – wie ein Tier, das für den Winter sein Fell wechselt.“
Der Riss durch die Gesellschaft
Peter Lesiak gibt den selbstbewußt auftretenden Nazi Ernst Ludwig – und dies ist eine der großen Stärken der Inszenierung: Die politischen Ereignisse durchziehen das Stück im richtigen Maß, am Ende des ersten Teils wird im Kabarett eine Hakenkreuzfahne entrollt – und als Publikum ist man sich nicht ganz sicher, ob man jetzt überhaupt applaudieren soll.
Der Star und der Conferencier
Zwei Personen dominieren das Musical: Zum einen Sally Bowles, das Revuegirl, das bürgerliche Sicherheit sucht und ein Kind von Clifford Bradshaw erwartet. Bettina Mönch verkörpert Sally in großartiger Art und Weise. Stimmlich gestaltet sie die Hauptsongs hervorragend und überzeugt auch darstellerisch vollkommen. Eine verletzliche Person, die sich hinter dem Showbusiness versteckt, versucht, mit Hilfe von Drogen den Ansprüchen gerecht zu werden und am Ende an einer Abtreibung zerbricht.
Doch der eigentliche Star des Abends ist der Conferencier: Eine glatzköpfige kleine zarte Person mit schwarz geschminkten Augen, die wie kein anderer den Tanz auf dem Vulkan personifiziert. In einer Szene versteckt sie das Gesicht und zeigt sich plötzlich mit Totenkopf. Mit überdimensionalen Händen dirigiert sie die grotesken Gestalten auf der Bühne und spielt auf dem überdimensionalen Klavier mit unglaublicher Musikalität die Melodien mit. Ruth Brauer-Kvam ist diese Zauberin, die die Fäden in den großen Händen behält und mit unfassbarer Kraft und Energie das Geschehen bestimmt.
Das Orchester spielt ihr buchstäblich in die Hände: Lorenz Aichner lässt die Atmosphäre der Roaring Twenties lebendig werden, eine großartige Leistung dieses Orchesters, das hörbar großen Gefallen an dieser musikalischen Herausforderung hat.
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