Das Buch über die vertriebenen Künstler der Volksoper macht mir zu schaffen. Am Anfang war meine Sorge, kein Material zu finden, nicht zu wissen, wie ich zu den Menschen komme. Über Besetzungszettel und das Bühnenjahrbuch hat sich jedoch rasch eine Gruppe an Menschen gefunden, die nun im Mittelpunkt stehen. Doch es ist nur eine willkürlich ausgewählte Gruppe als pars pro toto. Im Laufe der Recherche steigert sich die Beschämung, dass ich offenbar die erste Forscherin aus Österreich bin, die sich für deren Schicksal interessiert. 70 Jahre nach dem „Anschluss“. Und dass Dokumente en masse existieren – man muss die Quellen wahrlich nur von der Straße aufheben, sie liegen da und warten auf Interesse. Eine unglaublich traurige Situation.
Da gibt es das grauenhafte Schicksal der Sängerin Ada Hecht, dokumentiert durch ihre Briefe an ihren Sohn Manfred, der rechtzeitig nach Amerika flüchten konnte. Das Leo Baeck Institut hat die Briefe digitalisiert – 600 Seiten Verzweiflung, Panik, Todesangst und unendliche Liebe für den Sohn. Der berühmte und angesehene Direktor der Oper in San Francisco, Kurt Herbert Adler, ist wohl so manchem geläufig – doch wer hat die 1800 Seiten transkribierter Interviews mit ihm gelesen? Ein Gigant der Opernwelt. Peter Paul Fuchs, Assistent von Bernstein und angesehener Dirigent, stand im Mittelpunkt eines europäischen Musiker-Netzwerkes – und doch bin ich offenbar die Erste, die die 99-jährige Witwe interviewt. Sie ist glücklich und dankbar – und ich zutiefst beschämt. Ein aktuelles Photo von ihr zeigt eine unglaublich elegante, gestylte Erscheinung – eine bestens gealterte Primaballerina mit Stock an der Ballettstange. Was für ein Geschenk. Hans Holewa setzt gegen viele Widerstände die Zweite Wiener Schule in Schweden durch – und sein Sohn schickt mir Photos eines Charakterkopfes, für den sich bis jetzt in Österreich fast niemand interessiert hat. Ich kenne einen einzigen gebürtigen Guatemalteken – und sein Großvater bürgt für ein jüdisches Ehepaar aus Wien, deren Schwiegersohn Franz Ippisch einer der bedeutendsten Cellisten Österreichs war. So komme ich mit den Nachkommen in Kontakt – ein Zufall? Das glaube ich schon lange nicht mehr.
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen – und zeigt, dass ich maßlos überfordert bin von all den Informationen, Materialien, Dokumenten, die vor meinen Augen wachsen. Allein in Wien finden sich Nachlässe, die wohl noch niemand genau studiert hat. Wer erinnert sich an Marco Frank? Man muss nur in die Wienbibliothek gehen, dort eröffnet sich sein ganzes Leben. Vielen von ihnen gelang die Flucht via Lissabon – was für ein merkwürdiger Umstand, dass ich gerade in dieser Phase mit einer Freundin für vier Tage dorthin reise und die Atmosphäre dieser Stadt empfinden darf.
Die Erwartungshaltung an dieses Buch ist enorm – und setzt mich nicht unter Druck, sondern gibt mir die Gewissheit, dass diese Forschung wichtig und richtig ist und dass auch 70 Jahre nach dem Einsetzen des Grauens ein gigantischer Aufholbedarf besteht. Auch wenn es Gegenwind gibt – aber den ignoriere ich leicht.
Dies alles mischt sich mit dem großen Interesse an meinem Attersee-Buch – fünf Buchpräsentation allein im Juni zeigen, dass mein Ansatz einen Nerv trifft. Und dass das Jüdische Museum eine eigene Präsentation macht, gibt den Menschen, die wie alle anderen auch den Sommer im Salzkammergut verbringen wollten und brutal vertrieben wurden, ihre Geschichte und ihre Würde zurück. Doch die Scham bleibt – es ist viel zu viel Zeit vergangen. Und es gibt unendlich viel zu tun.
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Das Buch über die vertriebenen Künstler der Volksoper macht mir zu schaffen. Am Anfang war meine Sorge, kein Material zu finden, nicht zu wissen, wie ich zu den Menschen komme. Über Besetzungszettel und das Bühnenjahrbuch hat sich jedoch rasch eine Gruppe an Menschen gefunden, die nun im Mittelpunkt stehen. Doch es ist nur eine willkürlich ausgewählte Gruppe als pars pro toto. Im Laufe der Recherche steigert sich die Beschämung, dass ich offenbar die erste Forscherin aus Österreich bin, die sich für deren Schicksal interessiert. 70 Jahre nach dem „Anschluss“. Und dass Dokumente en masse existieren – man muss die Quellen wahrlich nur von der Straße aufheben, sie liegen da und warten auf Interesse. Eine unglaublich traurige Situation.
Da gibt es das grauenhafte Schicksal der Sängerin Ada Hecht, dokumentiert durch ihre Briefe an ihren Sohn Manfred, der rechtzeitig nach Amerika flüchten konnte. Das Leo Baeck Institut hat die Briefe digitalisiert – 600 Seiten Verzweiflung, Panik, Todesangst und unendliche Liebe für den Sohn. Der berühmte und angesehene Direktor der Oper in San Francisco, Kurt Herbert Adler, ist wohl so manchem geläufig – doch wer hat die 1800 Seiten transkribierter Interviews mit ihm gelesen? Ein Gigant der Opernwelt. Peter Paul Fuchs, Assistent von Bernstein und angesehener Dirigent, stand im Mittelpunkt eines europäischen Musiker-Netzwerkes – und doch bin ich offenbar die Erste, die die 99-jährige Witwe interviewt. Sie ist glücklich und dankbar – und ich zutiefst beschämt. Ein aktuelles Photo von ihr zeigt eine unglaublich elegante, gestylte Erscheinung – eine bestens gealterte Primaballerina mit Stock an der Ballettstange. Was für ein Geschenk. Hans Holewa setzt gegen viele Widerstände die Zweite Wiener Schule in Schweden durch – und sein Sohn schickt mir Photos eines Charakterkopfes, für den sich bis jetzt in Österreich fast niemand interessiert hat. Ich kenne einen einzigen gebürtigen Guatemalteken – und sein Großvater bürgt für ein jüdisches Ehepaar aus Wien, deren Schwiegersohn Franz Ippisch einer der bedeutendsten Cellisten Österreichs war. So komme ich mit den Nachkommen in Kontakt – ein Zufall? Das glaube ich schon lange nicht mehr.
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen – und zeigt, dass ich maßlos überfordert bin von all den Informationen, Materialien, Dokumenten, die vor meinen Augen wachsen. Allein in Wien finden sich Nachlässe, die wohl noch niemand genau studiert hat. Wer erinnert sich an Marco Frank? Man muss nur in die Wienbibliothek gehen, dort eröffnet sich sein ganzes Leben. Vielen von ihnen gelang die Flucht via Lissabon – was für ein merkwürdiger Umstand, dass ich gerade in dieser Phase mit einer Freundin für vier Tage dorthin reise und die Atmosphäre dieser Stadt empfinden darf.
Die Erwartungshaltung an dieses Buch ist enorm – und setzt mich nicht unter Druck, sondern gibt mir die Gewissheit, dass diese Forschung wichtig und richtig ist und dass auch 70 Jahre nach dem Einsetzen des Grauens ein gigantischer Aufholbedarf besteht. Auch wenn es Gegenwind gibt – aber den ignoriere ich leicht.
Dies alles mischt sich mit dem großen Interesse an meinem Attersee-Buch – fünf Buchpräsentation allein im Juni zeigen, dass mein Ansatz einen Nerv trifft. Und dass das Jüdische Museum eine eigene Präsentation macht, gibt den Menschen, die wie alle anderen auch den Sommer im Salzkammergut verbringen wollten und brutal vertrieben wurden, ihre Geschichte und ihre Würde zurück. Doch die Scham bleibt – es ist viel zu viel Zeit vergangen. Und es gibt unendlich viel zu tun.
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