Beim Verlassen meines Zimmers in St. Gilgen wird mir bewusst, dass ich dieses sechs Wochen nicht verlassen hab, jedenfalls nicht mental. Natürlich war ich auch in der Küche, im Garten, im See, aber immer versponnen in meinen Gedanken, in meinen Geschichten, niemals bereit für anderes. Das macht nichts, denn nur so kann etwas Neues entstehen. Und ich bin fertig geworden. Es war eine wunderbare, bereichernde, berührende Arbeit, die neue Türen geöffnet und so großartige Begegnungen ermöglicht hat.
Um ein wenig Abstand und auch Erholung zu gewinnen, gehe ich an den Ort, der mir vertraut ist, wo ich allein sein kann, aber nicht muss, wo ich was anschauen kann, aber nicht muss, wo ich meine Lieblingsorte hab und vor allem meine Familie: Stockholm.
Und es ist wirklich eine meiner besten Ideen, hierher zu fahren. Ohne Stress, ohne Eile. Hie,r bei meiner sehr entspannten Schwester und ihrem Mann gehen die Uhren anders. Gemächlich, voller interessanter Gespräche, mit einem Gintonic als Begrüßung und einem gemütlichen unkomplizierten Abendessen. Und plötzlich hab ich nicht mehr das Bedürfnis, bis 2 Uhr früh aufzubleiben, sondern gehe zu einer normalen Zeit ins Bett, lese etwas und spüre, dass ich wieder in meinen alten Rhythmus finde. Auch der Wechsel der Sprache tut das Seine dazu – es ist natürlich anstrengender, aber zugleich auch eine Möglichkeit, aus dem Trott auszusteigen.
Das Herrliche ist hier die Gelassenheit.
Wahltag. Das Wahllokal ist im Erdgeschoss unseres Hauses, vor dem tatsächlich Aktivisten aller Parteien stehen und Material verteilen – also ob man in letzter Minute tatsächlich noch eine Entscheidung verändern kann. Ich darf bis in die Wahlzelle mitgehen – in Österreich wäre das ganz unmöglich. Und ich lerne, dass hier alle Wahlen gleichzeitig sind: National, Land, Gemeinde. Interessanterweise wählt meine Schwester dreimal unterschiedlich – aber ich fürchte, dass dieses differenzierte Denken eher ungewöhnlich ist. Der Tag plätschert dahin, meine Nichte kommt mit Familie, dann wandern wir in die Stadt – denn alle Geschäfte sind offen. Ich komm mir wie seit meiner Kindheit vor, als ob ich aus dem Ostblock komm… Endlich kann ich einmal in Ruhe bißl einkaufen – auch ein Zeichen des normalen Lebens.
Dann kommt mein Bruder samt Tochter und Mini-Enkelbuben – sehr süß, aber alle sind so auf die Kinder konzentriert – typisch schwedisch –, dass kein Gespräch möglich ist. Macht nix, ich bin eh so müd und lass schwedische Kinderlieder an mir vorbeiziehen.
Die Wahl bringt genau das, was ich und alle rundherum befürchtet haben. Warum soll es hier besser sein als bei uns. Eine meine Nichten ist diese Woche unabsichtlich in einer Neo-Nazi-Demo geraten, hat ein Video gemacht, das 1. Mio (!) Mal auf Facebook angeschaut wurde und hat sofort Drohungen bekommen. Entsetzlich. So werden auch hier die Extremrechten mitregieren – eine andere Möglichkeit gibt es gar nicht, da es keine Tradition der Zusammenarbeit à la Große Koalition gibt – auch wenn ich diese bei uns als überholt ansehe. Hier wäre es etwas ganz Neues und wert, es zu probieren.

9. September 2018Art & Culture, Family

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Beim Verlassen meines Zimmers in St. Gilgen wird mir bewusst, dass ich dieses sechs Wochen nicht verlassen hab, jedenfalls nicht mental. Natürlich war ich auch in der Küche, im Garten, im See, aber immer versponnen in meinen Gedanken, in meinen Geschichten, niemals bereit für anderes. Das macht nichts, denn nur so kann etwas Neues entstehen. Und ich bin fertig geworden. Es war eine wunderbare, bereichernde, berührende Arbeit, die neue Türen geöffnet und so großartige Begegnungen ermöglicht hat.
Um ein wenig Abstand und auch Erholung zu gewinnen, gehe ich an den Ort, der mir vertraut ist, wo ich allein sein kann, aber nicht muss, wo ich was anschauen kann, aber nicht muss, wo ich meine Lieblingsorte hab und vor allem meine Familie: Stockholm.
Und es ist wirklich eine meiner besten Ideen, hierher zu fahren. Ohne Stress, ohne Eile. Hie,r bei meiner sehr entspannten Schwester und ihrem Mann gehen die Uhren anders. Gemächlich, voller interessanter Gespräche, mit einem Gintonic als Begrüßung und einem gemütlichen unkomplizierten Abendessen. Und plötzlich hab ich nicht mehr das Bedürfnis, bis 2 Uhr früh aufzubleiben, sondern gehe zu einer normalen Zeit ins Bett, lese etwas und spüre, dass ich wieder in meinen alten Rhythmus finde. Auch der Wechsel der Sprache tut das Seine dazu – es ist natürlich anstrengender, aber zugleich auch eine Möglichkeit, aus dem Trott auszusteigen.
Das Herrliche ist hier die Gelassenheit.
Wahltag. Das Wahllokal ist im Erdgeschoss unseres Hauses, vor dem tatsächlich Aktivisten aller Parteien stehen und Material verteilen – also ob man in letzter Minute tatsächlich noch eine Entscheidung verändern kann. Ich darf bis in die Wahlzelle mitgehen – in Österreich wäre das ganz unmöglich. Und ich lerne, dass hier alle Wahlen gleichzeitig sind: National, Land, Gemeinde. Interessanterweise wählt meine Schwester dreimal unterschiedlich – aber ich fürchte, dass dieses differenzierte Denken eher ungewöhnlich ist. Der Tag plätschert dahin, meine Nichte kommt mit Familie, dann wandern wir in die Stadt – denn alle Geschäfte sind offen. Ich komm mir wie seit meiner Kindheit vor, als ob ich aus dem Ostblock komm… Endlich kann ich einmal in Ruhe bißl einkaufen – auch ein Zeichen des normalen Lebens.
Dann kommt mein Bruder samt Tochter und Mini-Enkelbuben – sehr süß, aber alle sind so auf die Kinder konzentriert – typisch schwedisch –, dass kein Gespräch möglich ist. Macht nix, ich bin eh so müd und lass schwedische Kinderlieder an mir vorbeiziehen.
Die Wahl bringt genau das, was ich und alle rundherum befürchtet haben. Warum soll es hier besser sein als bei uns. Eine meine Nichten ist diese Woche unabsichtlich in einer Neo-Nazi-Demo geraten, hat ein Video gemacht, das 1. Mio (!) Mal auf Facebook angeschaut wurde und hat sofort Drohungen bekommen. Entsetzlich. So werden auch hier die Extremrechten mitregieren – eine andere Möglichkeit gibt es gar nicht, da es keine Tradition der Zusammenarbeit à la Große Koalition gibt – auch wenn ich diese bei uns als überholt ansehe. Hier wäre es etwas ganz Neues und wert, es zu probieren.

9. September 2018Art & Culture, Family

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